Das ist Santiago von oben. Heute bin ich auf den Cerro San Cristobal geklettert, obwohl ich das beim Verlassen des Hotels nicht so genau geplant hatte.
Aber der Reihe nach.
Heute morgen fühlte ich mich gut erholt. Ich ging frühstücken und unterhielt mich dabei mit einer Chilenin, die mit mir an einem der drei großen runden Tische im Frühstücksraum saß. Unter anderem kamen wir auf die Demonstrationen zu sprechen, wir sprachen auch über die chilenische Katastrophe der 70er Jahre. Dabei bestätigte sich mein Eindruck, den ich gestern schon nach einem Gespräch mit Einheimischen hatte. Sie sympathisieren zwar grundsätzlich mit den Demonstranten, finden aber, dass sie zu weit gehen. Die Leute hier haben Angst. Sie möchten, dass die Verhältnisse sich bessern, aber sie hoffen inständig auf eine friedliche Lösung.
Die Chilenin verabschiedete sich von mir, sie müsse unterrichten, dafür kam eine australische Touristin. Sie fragte mich, woher ich käme und verriet mir dann, dass sie das gewusst habe, das höre man an meinem deutschen Akzent, wenn ich englisch spreche. Dann schaute sie ängstlich auf ihr Handy und meinte, sie mache das jeden Tag, um den Wetterbericht zu verfolgen wegen der Buschbrände. Auch sie hatte eine gewisse Angst und sprach in diesem Zusammenhang von der Dummheit der Regierung, weiter Kohle in Strom zu verwandeln. Sie haben alle Angst, irgendwie.
Nach dem Frühstück fand ich zügig Banken und Supermarkt. Ich muss gestern ziemlich benebelt gewesen sein, ich hatte mich weder orientieren noch irgendetwas finden können. Das war die Mischung aus Müdigkeit und leichtem Kopfschmerz.
Und dann hatte ich ja gestern noch die Verabredung zum Essen mit dem Freund eines ehemaligen Mitarbeiters, mit dem ich schon einige E-Mails ausgetauscht hatte. Wir hatten uns für halb acht verabredet. Ich ging aus dem Hotel und wollte dort auf ihn warten, da sah ich beunruhigende Dinge. Rechts von mir wurde die Straße gesperrt und links, dort ist die Plaza Italia, wo die Demonstrationen immer stattfinden und die die Touristen meiden sollen, fand auch tatsächlich eine Demonstration statt. Am Nachmittag war noch alles ruhig gewesen, aber jetzt nicht mehr. Ich sah den Einsatz von Wasserwerfern, worauf die Demonstration kleiner wurde, und dann entdeckte ich mitten auf der Straße ein kleines Feuer. In dem Augenblick kam meine Verabredung. Ich bedauerte, dass ich ausgerechnet in einem Hotel in der Nähe dieses Platzes wohnte, aber ich hatte das schon im Mai gebucht und da gab es noch keine Unruhen. Er meinte darauf, es wäre nicht so schlimm wie im Oktober und wir sollten ruhig über den Platz dort gehen, die Demonstrierenden seien ja bereits weg und die Wassertanks auch. Denn genau hinter diesem Platz liegt ein schickes Ausgeh- und Restaurantviertel. Als wir allerdings an dem Feuer vorbei kamen, merkten wir, dass es nicht einfach ein Feuer war. Wir konnten kaum noch atmen, es war wie Feuer essen, und die Augen tränten bis an die Schmerzgrenze. Wir hielten uns Taschentücher vor und gingen einen Schritt schneller. Wir mussten über eine Brücke, die über ein schnell fließendes, braunes Wasser mit viel Müll an den Ufern führt, und dann waren wir im schicken Viertel. Es war dann ein schöner Abend, wir aßen in einem peruanischen Restaurant. Ich trank ein Glas Wein zum Essen und konnte danach - auf dem Rückweg war der Spuk vorbei - sehr gut schlafen.
Heute ging ich wieder zu diesem Platz, um mich nochmal umzuschauen. Die Bürgersteige sind zum Teil zerstört, Hotels sind ausgebrannt. Was mir gestern bei der Ankunft schon auffiel, ist, dass fast alle Ampelanlagen zerstört sind, besonders hier im Viertel um die Universität herum. Eine Ampel direkt um die Ecke ist einfach zerschmolzen, es hängen rote und grüne Glastropfen von ihr herab. Polizisten regeln den Verkehr.
Ich überquerte dann wieder den braunen Fluss und stieg den Hügel hoch. Unterwegs besorgte ich mir etwas zu trinken und fand zum Glück auch Sonnencreme in einem Kiosk, weil ich auf einmal merkte, dass meine weiße Winterhaut zu brennen anfing. Außerdem hatte ich nicht sehr geeignete Sandalen an, was ein Fehler war, aber da ich schon einmal am Fuß des Hügels stand, musste ich einfach hinauf. Ich wurde sehr belohnt, weil man von oben eine wunderbare Aussicht auf Santiago hat, eine Stadt mit vielen Hochhäusern am Rand eines riesigen Gebirges, gleich einer schroff aufsteigenden hohen Wand. Einige Schneefelder konnte ich sehen. Leider sieht man auf den Fotos, die ich gemacht habe, die Berge kaum, weil ein starker Dunst davor lag.
Auf dem Weg hinauf kam ich noch ins Gespräch mit einem jungen Mann, der sich wohl in Santiago etwas aufwärmen wollte. Er kam nämlich aus Punta Arenas. Als ich ihm erzählte, das sei der geplante Endpunkt meiner Reise, freute er sich und versicherte mir, es würde mir großen Spaß machen.
Es fällt mir auf, dass die Leute hier sehr hilfsbereit und sehr freundlich sind, und außerdem reden sie genau so gern wie ich.
Auf den hochgeladenen Fotos bin ich mit ungeeigneten Latschen, die in der Sonne zerflossenen Kerzen zur Ehre der oben auf dem Hügel stehenden Maria der unbefleckten Empfängnis, ausgebrannte Hotels und der Platz, auf dem gestern die Demo war.