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Carreterra Austral bis Cisnes

Heute Nachmittag bin ich in Puerto Cisnes angekommen, das liegt im Parque Nacional Queulat. 

Ich startete heute früh von Villa Santa Lucia, weil es dort sehr trostlos aussah und nicht zum Verbleiben einlud. Ich war in einer Minute auf der berühmten Carreterra Austral, die zu einem meiner Höhepunkte dieser Reise zählt. Und was für ein Höhepunkt! 

Die Straße führte in leichten Schwingungen durch die Gebirgslandschaft, sie war wunderbar asphaltiert, wie man auf dem Foto sieht (die Straße ist links). In La Junta tankte ich, hielt ab und zu an und machte Fotos von der Landschaft. Ich wollte mir Zeit nehmen, weil ich mir heute nur eine Fahrt von 200 km vorgenommen hatte. Irgendwann sollte noch einmal ein Stück Schotterpiste kommen. Das kam dann schneller als ich dachte, zuerst für kurze Strecken, aber dann kam der Ventisquero Colgante. Ich denke immer, wenn es eine Straße gibt, dann kann man darüber auch fahren. Die Frage ist nur, WIE! Die Carreterra Austral windet sich hier einen Pass hinauf. Ich hatte diesen zu Hause testweise in Google Earth abgefahren, aber wenn man in einem zweistöckigen Gebilde von Auto sitzt, fühlt sich das irgendwie anders an als mit der Maus über den Schreibtisch. Riesige Lastwagen quälten sich im Schneckentempo durch steilste Haarnadelkurven, sie ließen ab und zu Autos vorbei, mich auch. Einmal war links von mir ein riesiges Loch oder ein Abhang, ich konnte es nicht genau einschätzen, und ich musste mich stark konzentrieren, um trotzdem an dem Lkw vorbeizukommen. Das bringt Adrenalin in die Oberschenkel wie einen Schwarm Nadelstiche. Und weiter ging es himmelan, pardon, bergauf. Durch viele enge Kurven fuhr ich, immer noch höher, und wenn gerade wieder einmal ein Lkw vor mir war, schaffte ich es kaum, mein Auto im ersten Gang in diesem Schneckentempo am Fahren zu halten. Vor mir ragte eine mit Schneeresten bedeckte Felswand auf, eben dieser Ventisquero Colgante, sehr nahe, fast zum Hinspringen, aber leider konnte ich hier kein Foto machen. Ich machte auch kein Foto, als eine Ausweichstelle kam, um die Lastwagen nicht wieder vor mir zu haben.

Endlich ging es bergab, jetzt musste ich aber aufpassen, um riesige Schlag- und sonstige Löcher zu umfahren, einmal hatte ich Angst, die Achsen brechen.

Gestern hatte ich sozusagen das Schotterpiste fahren erst einmal geübt, heute war eine fortgeschrittene Lektion. Jetzt weiß ich auch, warum man so lange nach Coyhaique braucht. Dorthin fahre ich auf jeden Fall nicht vor übermorgen, aber ich denke ich habe das schlimmste Stück geschafft, jedenfalls bis dahin.

Puerto Cisnes liegt nicht direkt an der Carreterra Austral, man muss 30 km in den Nationalpark hineinfahren, aber das hat sich gelohnt. Ich werde mir diese Umgebung morgen anschauen, heute habe ich keine Lust mehr. 

Ich habe sofort am Ortseingang einen Campingplatz gesehen und gefragt, ob ich einen Platz für mein Auto bekäme. Eigentlich ist das nur ein Zeltplatz, aber ich darf davor stehen. Der Patron hat mir Strom aus dem Haus angeschlossen, es gibt eine einzige Dusche und eine Toilette für Mädchen und eine für Jungen, aber das Internet hat Superspeed, deshalb bin ich hier geblieben. Ich schreibe gerade vor dem Haus in meinem Camper und brauche zum Hochladen eines Fotos 20 Sekunden. Das gab es bis jetzt noch nie.

Ich muss außer 'Maps.me' noch die App 'ioverlander' herunterladen, dort sind noch mehr Bewertungen der Campingplätze. In Coyaique werde ich endlich soweit sein, den perfekten Campingplatz zu finden, sollte es ihn geben.

Als ich ankam und noch unentschlossen war, ob ich bleiben sollte, führte der Patron mich hinein. Die "Rezeption" war gleichzeitig das Wohn- und Esszimmer der Familie und ich kam mit den Söhnen ins Gespräch. "Ach, aus Deutschland kommst du, von woher genau?" Ich sagte etwas von Dortmund, und da fragten sie mich, ob dort Borussia sei, aber es gäbe ja auch noch Borussia Mönchengladbach, und ich mochte es kaum glauben, sie kannten sogar Schalke. 

Bevor ich mich anmelden konnte, aß die Familie noch zu Ende und mir drückten sie ein Glas Wein in die Hand. Das half natürlich sehr bei der Entscheidung hier zu bleiben. 

Was nützt es mir, wenn ich allein in der Superromantik stehe! Hier habe ich fast Familienanschluss und das ist es ja, was ich vor allem auf meinen Reisen schätze.

Oben eins der Fotos von der heutigen Strecke, hier neben sieht man mich noch guten Mutes, der Pass kam erst danach, und jetzt würde ich niemandem mehr erlauben, ein Foto von mir zu machen...