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Erster Abschnitt Ruta 40

Wie man sieht, bin ich in einer Wüste. 

Ich startete gestern relativ früh vom Campingplatz in Chile Chico. Es weckte mich die aufgehende Sonne und vor allem der Campingplatzhahn. Also entschloss ich mich, möglichst die gut 400 km bis Gobernador Gregores zu fahren, dem einzigen ortsähnlichen Gebilde dieser Route, der ich 700 km nach Süden folgen muss und der so einigermaßen in der Mitte liegt. 

Die Grenzformalitäten wieder nach Argentinien hinein waren zügig erledigt, keine Rede davon, ob ich 2 Scheiben Käse oder gar ein paar Kirschen im Auto hätte. Ich hatte aber alle frischen Sachen aufgegessen und es herrschte tatsächlich Leere in meinem Vorratsbunker. Im Kühlschrank war immer noch die Milchflasche, die sowieso aus Argentinien stammte, ein Bier und eine Flasche Cola Light. Eine halbe Packung Nudeln hatte ich vorsichtshalber an Bord und ein Glas Oliven. Sonst so gut wie nichts.

Die Querstraße nach Westen zur Ruta 40 gönnte mir noch einige schöne Ausblicke auf den See, der nun Lago Buenos Aires hieß. Hinter der Grenze sah ich eine Bank, wo ich Dollar in Argentinische Pesos umtauschen wollte, aber die schickten mich in das Hotel nebenan, wo ich Erfolg hatte, wahrscheinlich zu einem grottenschlechten Kurs. Egal, aber alles kann man nicht mit "Karte" zahlen. 

Ich fuhr durch einen Ort, der Perito Moreno heißt und wo ich auch noch hätte tanken können, aber meine Tankanzeige zeigte noch auf "voll". 

Hier bog ich ab nach Süden auf die Ruta 40. Nach den Ruckelpisten der letzten Woche war diese Straße für mich so etwas wie eine Traumautobahn, zwar nur einspurig in jede Richtung, jedoch superglatt und so gut wie verkehrslos. Jedenfalls war sie sehr viel besser zu fahren als zum Beispiel die A 43 von Recklinghausen nach Bochum in der Woche.

So glitt ich dahin, fuhr sogar manchmal über 90 km/h, der empfohlenen Höchstgeschwindigkeit für mein Auto, wegen des Aufbaus. Die Landschaft veränderte sich mit jedem Kilometer nach Süden sehr schnell. Aus See, Schneebergen und Grün wurde eine hügelige oder eher felsige Kulisse in den Farben braun, graubraun und fast leuchtendem orangerot. Leicht kurvig bis schnurgerade präsentierte sich die Straße. Nur ein paar Wolken waren am Himmel, die Sonne stach mit dem später werdenden Vormittag durch die Scheibe. Nach zwei Stunden musste ich aussteigen, weil mich meine Blase dazu aufforderte. Ich öffnete die Fahrertür und ein heftiger Wind blies mir entgegen. Daher hatte ich kaum schalten können, denn wenn ich das Steuer kurz mit einer Hand hielt, wollte es anders als ich. Ich machte die paar Schritte zur Tür meiner Kabine am hinteren Teil meines Fahrzeugs und erschrak, weil der Wind mich kaum dorthin gelangen ließ. Es riss mich fast aus den Schuhen. Nur mit Mühe schaffte ich es, die Kabinentür zu öffnen. Ich stellte fest, dass sich die Klappe des Oberlichts gelöst hatte. Ich zurrte sie zu, so fest ich konnte. 

Ab jetzt hatte ich etwas mehr Achtung vor den Wetterverhältnissen da draußen, fuhr möglichst nicht über 80 km/h und hielt das Steuer besonders fest, wenn ein LKW in Gegenrichtung an mir vorbeifuhr. Ein paar Kilometer zwischendurch schien es aufgrund der Landschaftsformation ein bisschen weniger stürmisch zu sein. Jedenfalls kam ich trotz des Sturms zügig voran. Zwischendurch spielte ich ein Spiel. Das Spiel hieß  "Weich' den Schlaglöchern aus". Davor wurde zwar gewarnt, aber ich wollte nicht jedes Mal schleichen, und so konzentrierte ich mich sehr auf die Straße, schaute aber auch immer wieder in den Rückspiegel, um schnell auf die linke Straßenseite ausweichen zu können, wenn sich vor mir wieder ein Krater auftat. Ein einziges Mal hat es nicht so gut funktioniert und es krachte etwas. Es scheint  aber nichts mit den Reifen passiert zu sein.

An der Strecke sind auf der Landkarte kleine Orte eingezeichnet, die heißen so ähnlich wie "Haltepunkt". Dort gibt es manchmal ein Haus oder ein paar Wohncontainer. An so einem Punkt, der Tamel Aike heißt, sollte es laut der App eine Tankstelle geben, mein Navi wusste das jedoch nicht. Ich habe später nachgeschaut und erfahren, dass dort ein Dieseltank ist für Fahrzeuge, die nur noch ein paar Tropfen Reserve haben. Da ich aber nur 400 km fahren musste, kam ich gut bis Gobernador Gregores. 

Was soll das nur für ein Ort sein, dachte ich, als ich mich ihm näherte. Wo wohnen Menschen im Sturm in einer braunen Wüste? Und das soll auch noch die Provinzhauptstadt der Region Santa Cruz sein!

Bisher hatte ich alle 10 Minuten einmal ein Auto gesehen, aber ganz viele Guanakos. Das sind die kleinen Exemplare der Kamelfamilie in Südamerika, noch kleiner als die Alpacas. Auch sah ich Herden von Nandus, den südamerikanischen Laufvögeln. Diese Tiere sind alle schlauer als die Rudel von Hunden, die hier in den Orten immer vor den Autos herlaufen. Die Guanakos gehen sofort von der Straße, wenn sich ein Fahrzeug nähert, und die Nandus, die stehen da und schauen. Gestern wunderte mich allerdings, dass nicht alle Tiere durch die Luft geflogen sind.

Kurz bevor ich in den Ort kam, sah ich den Platz, den ich mir ausgesucht hatte. Es ist eine Kombination aus Hostel, also einfachen Zimmern, und ein paar Möglichkeiten, ein Auto abzustellen. An der Hütte stand "Rezeption", aber da war keiner. Die Tür war aber offen. Ich kam in einen Raum, der mit einer gemütlichen Sitzecke und Tischen mit Stühlen ausgestattet ist. Außerdem befindet sich hier eine Küche und ganz viele Steckdosen. Es ist sehr sauber. Ich setzte mich einfach, weil alles so aussah, als ob gleich jemand kommen würde. Und das war dann auch so. Ich bekam für mein Fahrzeug einen Platz an einer Mauer, wo es etwas windgeschützt ist. Gleich daneben befindet sich ein Gebäude mit sehr sauberen und gepflegten Duschen und Toiletten. Hier wurde ich zum ersten Mal in Südamerika aufgefordert, das Toilettenpapier bitte in die Toilette zu entsorgen. Sonst darf man das ja nicht, es steht immer ein Eimer zum Entsorgen des Papiers daneben. Hier aber nicht!

Es war etwas dumm von mir, dass ich nicht zuerst in den Ort gefahren bin, um zu tanken und Lebensmittel zu besorgen. Aber nach der langen Fahrt könnte ich doch gut zu Fuß die 2 km gehen, dachte ich so. Nach einem Kilometer, den ich mich schon durch den Sturm gekämpft hatte, kläfften mich zwei Hunde an, die kamen von der anderen Straßenseite und verhielten sich aggressiv. "Nicht beachten" hatte man mir ja gesagt, aber als ich plötzlich Zähne an meiner Wade spürte, wusste ich, dass das nicht immer klappt. Ich schrie so laut ich konnte, und da trollten sie sich.

Sturm, Hunger, Durst, und jetzt auch noch ein Hundebiss. Nein, es ist nicht wirklich etwas passiert, die Zähne haben noch nicht einmal den Stoff der Jeans durchgebissen. Wie ich es bereute, nicht mit dem Auto in den Ort gefahren zu sein, und ich müsste ja auch noch zurück.

Ich hätte zuerst gern eine kleine Bude gefunden, wo man vielleicht ein Stück Pizza hätte essen können, und dann hätte ich gern ein Lebensmittelgeschäft gefunden, egal ob Supermarkt oder Minimarkt oder Kiosk. Ich fand nichts, einmal erzählte man mir, es gäbe dort an der Ecke ein Restaurant. Das war dann aber ein Hotel, wo ich keinen Menschen antraf und es sah auch nicht so aus, dass ich dort in der nächsten halben Stunde etwas zu essen hätte bekommen können. Ich kam dann an ein kleines Geschäft, wo ich ein Stück trockenes, süßes Gebäck kaufen konnte. Darauf ging es mir etwas besser. Nach mehrmaligem Nachfragen, wo denn nun endlich ein Supermarkt sei und man mir immer wieder gesagt hatte "gleich an der Ecke",  wurde ich leicht aggressiv und fragte, wie viele Ecken denn nun noch in dieser Stadt seien. Kurz darauf fand ich tatsächlich die Ecke und war in einem großen Supermarkt. Ich kaufte so wenig wie möglich, um für 2 Tage über die Runden zu kommen.

Nun hatte ich nur noch das Problem des Rückwegs. Erstens kam der Wind jetzt von vorn und mehrmals konnte ich keinen Schritt vorwärts machen. Der Sturm war stärker. Man könnte eine neue Sportart erfinden, dachte ich, die heißt "Sturmkanaljoggen", aber über diesen meinen eigenen Witz konnte ich in der Situation nicht lachen. Zweitens musste ich wieder an den Hunden vorbei, und davor hatte ich richtige Angst. Als ich sie von weitem sah, wich ich auf einen Pferdeweg aus, der zum Glück ein Stückchen abseits der Straße war. Die Hunde sahen mich nicht. Als ich endlich am Wohnmobil ankam, hatte ich Kopfschmerzen, aber die waren mit einem warmen Tee schnell behoben. Das Auto schwankte wie auf einem Schiff, als ich aber im Bett war, hörte der Sturm auf. Es waren im Schnitt 70 km/h gewesen (sagte meine App).

Heute Morgen unterhielt ich mich lange mit einem jungen Paar aus Deutschland. Sie sind per Motorrad auf Weltreise, sind bereits ein Jahr unterwegs und waren in Asien und Australien. Jetzt ist noch Amerika dran. Sie nehmen sich eine Auszeit von 2 Jahren. Wir unterhielten uns auch darüber, dass junge Leute heute oft nicht mehr das Ziel haben, eine Karriere hinzulegen, weil man mit dem Geld, das man überhaupt verdienen kann, in den großen Städten kein Eigentum mehr erwerben kann. Wenn man keine vermögenden Eltern hat, hat man keine Chance. Warum dann nicht einfach Pause machen, die Welt sehen, andere Perspektiven erleben. 

Das stimmt, so sieht es bei uns aus, dachte ich, aber hier in Südamerika ist das Problem noch sehr viel ausgeprägter.

Mit einem jungen Holländer hatte ich mich genau darüber vor ein paar Tagen auch unterhalten. Der wollte mit seiner Freundin Abstand von Europa nehmen und kam in den Aufstand in Santiago im Oktober.

Heute bin ich faul, gehe nirgendwo hin, bleibe hier im Hostel, habe eine kleine Wäsche gemacht, in der Sonne gesessen, jetzt schreibe ich und arbeite meine restliche Tour aus.

Am Pferdeweg. Sonst gibt es hier nicht viel zu sehen.