Ich stand sehr früh auf, weil ich bereits um 8.00 Uhr am Campingplatz abgeholt werden sollte. Um halb neun kam tatsächlich der Bus, sammelte in El Calafate noch ein paar Leute bei verschiedenen Hotels ein und fuhr dann zum Hafen am Lago Argentino. Dort stiegen wir auf ein Boot um. Man konnte bequem im Innenraum sitzen, es gab aber auch 2 Außendecks. Als das Boot losfuhr, wurde es auf dem Deck frisch, aber nicht kalt. Mit T-Shirt, dünnem und dickem Anorak darüber war ich gut ausgerüstet. Die Gletscher konnten wir von weitem sehen, machten den ersten Zwischenstopp an einem kleinen Wasserfall in einem Wäldchen. Dort unterhielt ich mich mit einem Ehepaar aus Australien. Ich fragte sie nach den Waldbränden. Sie wohnten nicht weit weg davon, sagten, dass alle Leute, die sie treffen, danach fragen. Daneben stand ein junger Argentinier, der die Gruppe als Fotograf begleitete, und der erzählte, dass es im letzten Winter hier in Südpatagonien viel wärmer gewesen sei als üblich. In Deutschland sei es jetzt in unserem Winter auch zu warm, sagte ich.
Wenn man diese Klimathemen anspricht, fühlt man eine Art Ratlosigkeit, verbunden mit Sorge, wobei mir bewusst wurde, dass hier 4 Leute aus 3 verschiedenen Kontinenten der Erde zusammen standen und wohl das Gleiche dachten!
Das Boot hielt dann an einer anderen Bucht, und von hier aus konnte man verschieden Gletscher fotografieren. An einem Zufluss zum See machten wir eine Pause, genau gegenüber der Berge mit den Gletschern. Ein junger Argentinier wollte mich unbedingt fotografieren. Wir kamen danach ins Gespräch, und weil ich mich unbedingt mit ihm auf spanisch unterhalten wollte und nicht auf englisch, wie er mir anbot, hörte er nicht mehr auf zu reden. Er habe Soziologie und Geschichte studiert und wusste erstaunlich viel über den Nationalsozialismus in Deutschland und den Faschismus in Italien. Er erzählte mir auch von den Flüchtlingen aus diesen beiden Ländern um 1945, und dass diese in Argentinien willkommen geheißen wurden. Wenn ich hier blaue Augenpaare oder helle Haare sehe, mache ich mir Gedanken um deren Väter oder Großväter, aber die blauen Augen von 2020 sollte man nicht mehr mit den Taten ihrer Vorfahren in Verbindung bringen. Der junge Mann aber sagte, dass man aus der Geschichte lernen muss, damit sie sich nicht wiederholt. Damit war ich sehr einverstanden.
Wir unterhielten uns auch noch über die korrupte Politik des heutigen Argentinien, jedoch auf meine Frage hin, ob hier auch so ein Aufstand wie im Augenblick in Chile möglich sei, verneinte er. Hier würden sie es friedlich lösen, meinte er. Hoffentlich hat er Recht.
Es war früher Nachmittag und das Boot steuerte jetzt auf den Perito Moreno zu, den berühmtesten Gletscher hier am Lago Argentino. Zuerst sah man nur einen weißen Balken am Seeufer. Ich ging an Deck und beobachtete das Näherkommen des Gletschers. Jetzt war es richtig kalt auf dem See - in der Bucht hatte ich noch im T-Shirt gesessen - die ersten Eisbrocken kamen uns entgegen, und dann waren wir genau vor dem Gletscher. Man hatte mir gesagt, ich solle auf jeden Fall mit dem Boot dorthin fahren und nicht über Land. Tatsächlich kommt man nur vom Wasser aus so nah an den Gletscher. Ich schaute auf eine blauweiße Wand, die mit feinen vertikalen Rissen durchzogen war. Nachmittags sollte es möglich sein, das "Kalben" des Gletschers zu erleben, aber das passierte nicht, es lagen auch genug "Kälber", also Eisbrocken, im See. Auf der Fahrt zurück machte ich es mir im Innenraum des Bootes gemütlich und war fast eingeschlafen, als das Boot plötzlich hielt und der Fotograf rief "Ein Kondor, ein Kondor". Er rannte an Deck und ich hinterher. Wir sahen den Kondor in einem Nest an der Felswand. Leider konnte ich ihn nicht mit meiner Kamera einfangen.
Zurück in El Calafate, fragte mich der Fotograf, ob ich ein Bier mit ihm trinken wollte. Ich lud ihn dazu ein und er freute sich.
Als ich fragte, ob er denn von den paar Fotos während der Ausflüge leben könne, meinte er "nicht wirklich". Er habe aber noch einen zweiten Job. Er verkaufe irgendwas im Internet, ich verstand aber nicht richtig, was das war. Ich wollte auch nicht zu neugierig sein.
Ich war mit dem Tag sehr zufrieden und ging zu meinem Auto. Da musste ich staunen, weil ich einen Campernachbarn mit einem Aachener Nummernschild bekommen hatte. Die haben ihr Auto, einen Kompaktcamper, verschiffen lassen und sind damit jetzt unterwegs. Sie bereuen das aber ein bisschen, haben auch schon Steinschläge und stellten fest, dass mein Auto für Rüttelpisten besser geeignet ist.
Ich bin schon sehr weit im Süden Patagoniens, aber in der letzten Nacht war es wärmer als sonst. Wenn es so bleibt, habe ich tatsächlich bestes südpatagonisches Sommerwetter erwischt!
Kälte am Gletscher
Wärme in der Bucht