Dass mein linker Fuß abgeschwollen war, hatte ich mir eingeredet, er war an der Außenseite, wo der kleine Zeh sitzt, immer noch geschwollen. Aber nun stand die Bergexkursion an, ich hatte mich nicht abgemeldet. Vorsichtshalber steckte ich Ibuprofen ein, das ich aber nur im allerhöchsten Notfall einwerfen würde. Ich probierte die neuen Bergschuhe an, dann wieder die Joggingschuhe und entschied mich nach langem Hin und Her für die Bergschuhe, die ich mir extra für diesen Urlaub gekauft hatte. Sie waren zwar noch nicht eingelaufen, schienen mir jedoch geeigneter und bieten genug Platz für einen leicht geschwollenen Fuß.
Ich sollte zwischen halb und viertel vor drei an der Rezeption sein. Den Capo, also den Campingplatzbesitzer, hatte ich am Tag zuvor und am Vormittag mehrmals getroffen, und er hatte immer wieder auf lustige Weise gesagt, ich solle pünktlich sein.
Das war ich nun, aber seine Tochter kam nicht. Kurz vor drei erschien jedoch er an der Rezeption und schaute mich fragend an. Sie sei nicht da, bedeutete ich ihm. In diesem Augenblick erschien sie. Ich versuchte eine Unterhaltung mit ihr in Gang zu bringen, was aber sehr mühsam war. Da drückt der Vater ihr eine alte Frau aufs Auge, die sie den Nachmittag über begleiten soll. Ein bisschen tat sie mir Leid.
Die Straße führte durch kleine Städte, das Erdbeben von vor 5 Jahren war noch gut zu sehen. Die Tour sollte um halb vier losgehen, wir waren ein paar Minuten zu spät, aber nicht die letzten. Die Bergführerin hieß Marta. Sie hieß mich extra freundlich willkommen und sagte den anderen, ich sei Deutsche. Sie erklärte uns die Tour und dann stiegen wir bergauf. Meine Begleiterin verschwand schnell von meiner Seite, ich hielt mich an die Führerin. Diese unterbrach die Wanderung oft, um die Namen der einzelnen Berge zu nennen. Wir befanden uns in der Mitte des Naturparks der Monti Sibillini, wo die Regionen Umbrien, Marken und Latium (Latio) zusammenstoßen. Die Monti Sibillini sind nicht Teil der Abruzzen, grenzen aber an diese Bergkette. Wenn man die Karte von Italien betrachtet, ist das hier ziemlich mittendrin.
An einem der Aussichtspunkte wies Marta auf eine unregelmäßig verlaufende Linie mitten durch die Berge. Dies sei ein Riss, durch das Erdbeben entstanden, welches sich vom Adriatischen Meer aus aufgebaut hatte. Das sah sehr gewaltig aus und lässt uns Menschen klein und ohnmächtig werden.
Das dachte aber nicht nur ich, denn daraufhin kam ich mit Marta und einem Mann ins Gespräch. Von den Naturgewalten, die ohne uns Menschen passieren und denen, die immer häufiger werden und deren Auslöser der Mensch ist. Man nennt es inzwischen das Zeitalter des Menschen. Sie wussten von der Flutkatastrophe in Deutschland, sie kannten aber auch die Folgen des Kohleabbaus im Ruhrgebiet. Und solche Umweltsünden wie Fracking, deren Folgen alle noch nicht absehbar sind.
Wir machten eine Rundwanderung. Was wir an Höhe gewonnen hatten, mussten wir wieder absteigen. Dabei meldete sich mein kleiner Zeh recht deutlich, deshalb belastete ich meinen gesunden Fuß mehr. Irgendwann, als ich mich mit jemandem unterhalten wollte und dabei auf die italienische Sprache statt auf meinen Gang konzentrierte, kam ich aus dem Gleichgewicht und fiel um. Es war aber nichts passiert. Ich konnte schnell wieder aufstehen. Ab dem Zeitpunkt konzentrierte ich mich nur noch auf den Weg und ging ein bisschen zügiger voran. Die Bummelei der Gruppe, sie blieben wirklich oft stehen, fand ich zu anstrengend.
Am Ende wollte ich den Ausflug für die Tochter des Camping-Capo mit bezahlen, aber sie sagte, wir würden das später regeln. Auf der Rückfahrt erzählte das Mädchen mir auf Nachfragen etwas mehr, und dann brachte sie mich mit ihrem kleinen Auto vor meinen Camper. Sie erklärte mir noch, ihr Vater habe sie instruiert, auf keinen Fall Geld von mir zu nehmen!
Das hat mich dann beschämt. Am nächsten Morgen traf ich den Capo, und der meinte nur, ich könne ihm einen Kaffee ausgeben. In seinem eigenen Betrieb! Da ich keine Maske bei mir trug, ging das noch nicht einmal.
Später redete ich einen älteren Mann an, der mit seiner Frau in einem Wohnwagen an der Ecke zum Toilettenhäuschen sitzt. Der erzählte mir sehr viel. Sie seien schon dreißig Mal hier gewesen. Hätten verfolgt, wie der Campingplatz gewachsen ist. Kennen die Familie, die sehr hilfsbereit und freundlich sei. Das weiß ich bereits jetzt schon. Er gab mir noch viele Tipps, aber meine Zeit ist hier schon zu Ende. Er erzählte mir aber auch, dass er zur Zeit des Erdbebens hier auf dem Platz gewesen sei. Alles hätte stark gewackelt. Vor allem die Zeit des Bebens, eine Minute und eine halbe, sei außergewöhnlich lang gewesen. Weil sie so oft hier gewesen sind, haben sie überall in der Gegend Freunde gefunden. Die Frau spricht wohl gut italienisch. Bei dem Erdbeben seien Freunde umgekommen. Ich glaube, das Dorf heißt Norcia, dort bin ich auf der Hinfahrt vorbeigekommen. Als der Mann mir das erzählte, konnte er nicht mehr weiter sprechen, weil er weinen musste.
Als der Nachmittag in den Abend überging, wurden die Berge am Horizont blau.
Dieses Foto entstand am Anfang der Tour.
Noch einmal die blauen Berge.
Hier die in der Überschrift versprochene Herbstzeitlose, die ihre zarte Blüte aus dem Pferdemist hervorstreckte.
Wenn aus Mist etwas Schönes wächst, sollte das doch Hoffnung geben...